Frank Schroeders aus Stolpe ist gelernter Bootsbaumeister und darüber hinaus auch Yachtsegler. Anfang 2020 macht er sich mit seiner Frau auf die Suche nach einer Segelyacht. Hochseetauglich soll diese sein, aber auch ein Klassiker. Die harmonischen Linien der 1960er Jahre haben es dem Ehepaar angetan. So ein Boot in gutem Zustand zu finden, wird nicht einfach, das ist dem erfahrenen Fachmann klar. Im Mai entdecken sie dann einen möglicherweise geeigneten Kandidaten, doch als Schroeders das Baujahr mitgeteilt wird, stutzt er.
Mit ihrem gelungenen Erscheinungsbild entspricht die angebotene Segelyacht Orbit genau den Vorstellungen des Ehepaars, doch das Boot soll von 1971 sein. Das war nach Einführung der IOR-Formel, da wurden Yachten eigentlich nicht mehr so gebaut. Also bohrt Frank Schroeders weiter nach. Er erfährt, dass die Yacht zwar 1971/72 geplant worden sei, der Baubeginn aber nicht vor 1975 erfolgt und die Fertigstellung weitere vier Jahre benötigt. Die ganze Sache erscheint dem Bootsbaumeister immer mysteriöser: „Ein Schiff wie die Orbit hätte sich Ende der siebziger Jahre keiner mehr bauen lassen, das wäre unbezahlbar gewesen.“
Die Auflösung des Rätsels erfolgt, als der Verkäufer den Herkunftsort des Segelboots angibt, nämlich die DDR! Für den Bootsbauprofi von der Ostsee ein weiterer Grund zum Staunen: „Dass es aus der DDR kommen sollte, wollte ich erst mal gar nicht glauben. Denn wie sollten die an so hochwertige Materialien – wie Teak, Teaksperrholz, Mahagoni usw. kommen. Zudem war auch der Stahl von extremer Güte. Und ich war auch total voreingenommen, was das betraf.“ Wie wahrscheinlich viele andere aus dem westdeutschen Staat stammende Menschen, die 1989 den Zusammenbruch der DDR miterlebten.
In der öffentlichen Berichterstattung wurde die DDR lange Zeit weitgehend auf ihr politisch restriktives Herrschaftssystem und die nach einem langen Verschleißprozess desolate Wirtschaft reduziert. Das ist einerseits nicht falsch, reicht aber andererseits nicht ansatzweise aus, um das real existierende Leben in diesem 17-Millionen-Menschen-Staat zu beschreiben. Erst langsam setzt sich eine differenziertere Sicht auf die gewesene Republik mit ihren zahlreichen Facetten und Eigenheiten durch.
Frank Schroeders hat sich der Orbit angenommen und sie mit seinen professionellen Fähigkeiten behutsam restauriert wieder zu Wasser gebracht. Sein interessanter Bericht darüber findet sich in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 17. November 2020. Hier erfährt man auch, dass die Orbit nunmehr Dornröschen heißt, dafür aber wieder unter ihrem alten Segelzeichen „DDR 648“ geführt wird. Wer Letzteres nicht glauben mag, soll sich die Meldeliste für die im vergangenen September stattgefundene Veranstaltung Rendevouz der Klassiker 2020 ansehen!
Als sich der Neueigentümer der Orbit vor Kurzem über diese Website bei mir meldete, war ich natürlich sofort elektrisiert. Schließlich recherchiere ich nun schon seit annähernd zwei Jahren zu den Segelyachten aus der DDR. Der Stahlrumpf und eine Länge über Alles deutlich unter 10 m, das beides ist durchaus DDR-typisch. Zwar existieren Ende der 1970er Jahre die bekannten Hiddensee-Yachten aus GFP bereits in dreistelliger Anzahl, wer in der DDR aber etwas anderes bauen möchte, wählt meistens weiterhin Stahl. Und auch das vom West-Baumeister bewunderte Tropenholz ist durchaus DDR-typisch. Denn die DDR unterhält Beziehungen zu mehreren sozialistischen Staaten, in denen derartige Hölzer wachsen, allen voran Kuba. Die ostdeutsche Wirtschaft liefert Technik und erhält dafür häufig Naturstoffe zurück, darunter auch Mahagoni.
Die Linienführung der Orbit stellt dagegen für die 1970er Jahre nicht mehr ganz den Stand des technisch Machbaren in der ostdeutschen Yachtszene dar. Konstrukteure wie Oskar Tübbecke mit seinen Dreivierteltonnern vom Typ Ran oder die aus Polen importierten Taurus-Eintonner geben in ihrer modernen Formensprache den Ton an und platzieren sich bei den DDR-Seeregatten regelmäßig weit vorne. Die Orbit mit ihrer gediegenen Ausstattung und den für eine Regattayacht hohen Aufbauten scheint auch zum Fahrtensegeln gebaut worden zu sein. Während der 1980er Jahre taucht sie zwar in Ergebnislisten der Seesegler auf, mit der Yacht hat sich ein Liebhaber schöner Boote aber vor allem einen persönlichen Traum erfüllt.
Dabei ist die Orbit bzw. Dornröschen keinesfalls langsam, ganz im Gegenteil. O-Ton Schroeders: „Sie verhält sich wie eine Jolle, springt bei Wind sofort an und gibt viel Rückmeldung. Ein Schiff, das für Regatten gebaut sein muss.“ Damit stellt sich die Frage, wer dieses überzeugende Gesamtpaket entworfen und gebaut hat? Bei schnellen Yachten denkt man bald an Werner Siegel, in den 1960er Jahren der vielleicht erfolgreichste Yachtkonstrukteur in der DDR, aber zur Zeit der Orbit geht er beruflich bereits andere Wege. Das Erscheinungsbild der Yacht erinnert zudem eher an Konstrukteure wie Joachim Heinrichs oder Erwin Höppner, doch auch diese beiden sind nicht verantwortlich.
Aus den Unterlagen ergibt sich, dass gleich zwei Yachten gebaut werden, neben der Orbit auch das Schwesterschiff Ekliptik (DDR 747). Die Konstruktion ihrer Yachten übernehmen die beiden Eigner selbst. Zwar verfügen sie über keinen professionellen Bootsbauer-Hintergrund, als Diplom-Ingenieure für Automatisierungstechnik trauen sie sich ein derartiges Vorhaben gemeinsam aber zu. Es wäre nicht das erste Mal, dass begabte Amateure in der DDR eine Yacht konstruieren. Ein vielbeschäftigter Yachtkonstrukteur wie Joachim Heinrichs aus Plaue/Havel mag über derartiges Tun gelegentlich gerne schimpfen, aber in diesem Fall spricht das Resultat für sich.
Beim Bau ihrer Yachten setzen die Eigner dann aber doch auf Profis. Die Rümpfe fertigt die Bootswerft Wittig in Wildau, den Innenausbau und die Aufbauten übernimmt bei der Orbit anschließend die Berliner Bootswerft Gerlach. Der Betrieb Wittig arbeitet hauptsächlich für die DDR-Binnenschifffahrt, das erklärt die von Frank Schroeders festgestellten einwandfreien Schweißnähte. Mit der besonderen Stahlqualität und der hochwertigen Decks- und Innenausstattung der Orbit haben die beauftragten Bootswerften aber nur bedingt zu tun. Hier verfügt ein Auftraggeber offenbar über gute bis beste Beziehungen. Denn eins ist klar: Wer in der DDR ein derartiges Bauprojekt realisieren möchte, muss Leute kennen, die Leute kennen, die etwas können oder haben. Und selber sehr viel mitarbeiten, was der Orbit-Eigner in einem Exposé auch zum Ausdruck bringt. Deshalb ist es nicht untypisch für die DDR, dass ein Yachtbauprojekt von 1971 bis 1979 dauern kann.
Der Absatz über das Nachfolgeprojekt wurde entfernt, der Grund dafür findet sich weiter unten im Kommentar vom 7. März 2021.
SY Orbit (DDR 648)
Typ: | one off |
Baujahr: | 1979 |
Konstruktion: | Wilhelmi/Felgner |
Werft: | Wittig/Wildau, Gerlach/Berlin |
Takelung: | Slup |
LüA: | 8,92 m |
Breite: | 2,96 m |
Tiefgang: | 1,40 / 0,95 m |
Verdrängung: | 3,9 t |
Segelfläche: | ca. 32 qm |
Kielschwerter mit Stahlrumpf, Planungsbeginn 1971/72, Fertigstellung 1979, BDS-Registereintrag 1980 als Nr. 9660. Konstruktion durch Eigner, Rumpfbau: Bootswerft Wittig in Wildau, Innenausbau und Aufbauten: Bootswerft Gerlach in Berlin, weiterer Ausbau durch den Eigner. Geführt bei BSG Einheit Werder, später SG Seesegeln Berlin. Schwesteryacht Ekliptik mit Segelnummer DDR 747.
Mein Buch Der ferne Horizont. Eine Geschichte des Seesegelns in der DDR ist erschienen. Sie können den Titel im Buchhandel oder direkt beim Verlag erwerben!
Moin Rolf,
wie schön der Bericht von Dir. Ich hoffe es geht Dir gut. Das andere Schiff habe ich nicht angefangen. Es fehlten am Ende zu viel Teile und es wäre nicht mehr wirtschaftlich gewesen.
Ich freue mich sehr darauf, Dein Buch zu kaufen und zu lesen.
Liebe Grüße
Frank
Obwohl ich selber in der ollen DDR geboren wurde, wusste ich bislang gar nichts über Ostyachten. Ein wirklich schönes Schiff, einen Stahlrumpf segel ich auch. Wenn man sich die Ausfallzahlen der Yogurtbecher auf der aktuellen Vendee Globe ansieht könnten Stahlrümpfe auch wieder eine Zukunft haben… 🙂
Grüße, Alex