Karton-Sextant von Klaus Hüning

Satellitennavigation ist allgegenwärtig, allein in unserem Haushalt finden sich aktuell sieben Geräte, die spätestens nach wenigen Minuten die genaue geographische Position ermittelt haben. Für das Fahrtensegeln hat die GPS-Technik unglaubliche Veränderungen mit sich gebracht. Wer Blauwasser-Bücher aus den 1970er Jahren liest, wie Skipper dort mit dem Sextanten aufwendig die allenfalls ungefähre Position bestimmten, wird die Nützlichkeit der elektronischen Nachfolger nicht in Frage stellen. Wer aber heutzutage auf einer modernen Yacht mit GPS-gestütztem Kartenplotter samt gekoppeltem Autopilot über das Wasser steuert, wird sich manchmal etwas langweilen. Und dabei vielleicht auf den Gedanken kommen, was eigentlich passiert, wenn der GPS-Empfänger den Geist aufgibt. Oder die Stromversorgung des Schiffs. Oder irgend ein anderes ebenso empfindliches wie notwendiges Bauteil an Bord. Dann hat man vielleicht das Foto von Bobby Schenk mit dem Sextanten in der Hand vor Augen, wie er dem Leser aufmunternd von der Titelseite seines Buches „Astronavigation“ entgegenlächelt.

Empfehlenswerter Titel!

Das sei alles gar nicht so schwer zu erlernen, behauptet Schenk, und nach Lektüre des erwähnten Buchs will man ihm zustimmen. Allein, es fehlt der Sextant zur Verifizierung der Schenkschen Behauptung. Ein schneller Blick bei Amazon ergibt, dass der vom berühmtem Blauwasser-Segler präferierte Sextant der Marke Cassens & Plath mit gut 1.700,- Euro zu Buche schlägt. Ein bisschen viel, nur um die Technik mal zu testen…

Also mache ich mich auf die Suche. Ein erster Gedanke geht in Richtung alte Ost-Technik, bei derartigen Produkten durchaus eine überlegenswerte Wahl. Und siehe, gebrauchte russische Technik oder solche aus DDR-Beständen ist deutlich günstiger zu haben. Doch ist sie eben gebraucht und damit vielleicht verbogen und kostet zudem immer noch um die 300,- Euro. Neugeräte in dieser Preisklasse gibt es vom US-Hersteller „Davis“, diese Sextanten sind aber sehr einfach gehalten, eigentlich nur für Trainingszwecke gedacht. Zum reinen Probieren eine immer noch recht kostspielige Angelegenheit. Was tun?

Sextant & Künstlicher Horizont von Klaus Hüning

Die Lösung findet sich erneut bei Bobby Schenk, diesmal auf seiner Website: Der Bausatz für einen Karton-Sextanten von Klaus Hüning ist über den AstroMedia Verlag für etwas mehr als 20 Euro zu haben. Das klingt zunächst nach einer nutzlosen Spielerei, doch der erfahrene Seesegler Schenk kommt zu einem wohlwollenden Resultat, als Notfall-Backup erscheint ihm der Bausatz durchaus sinnvoll. Und praktischerweise existiert für den Sextanten ein künstlicher Horizont als Ergänzung, mitteleuropäische Gelegenheitssegler ohne freien Blick auf die südliche Kimm wissen das zu schätzen. Damit sind zwei Positionen auf dem weihnachtlichen Wunschzettel belegt!

Der Bausatz trifft in einer einfachen Plastiktüte ein, neben dem Deckblatt enthält diese zwei Din A4 Kartons mit den vorgestanzten Bauteilen, zwei Spiegel, eine Sonnenfilter-Folie sowie die Bauanleitung. Benötigt werden laut Anleitung ein scharfes Messer, etwas Spiritus zum Reinigen der Spiegel, ein dünner wasserfester Filzstift sowie ein lösungsmittelhaltiger(!) Alleskleber. Ich habe mich zum Kleben für UHU Alleskleber entschieden. Die zu verbindenden Teile haften damit gut und zügig zusammen, allerdings zieht UHU manchmal Fäden, die auf der bedruckten Oberfläche des Sextanten Spuren hinterlassen. Darüber hinaus sollte die Dosierung des Klebers sehr präzise erfolgen, was aus der Tube nicht immer zuverlässig gelingt. Ein aufzupinselnder Kleber wäre nicht schlecht, gibt es so etwas für Pappe?

Zusätzlich kommt feines 180er Schmirgelpapier zur Anwendung, damit lassen sich die Kartongrate sauberer von den Bauteilen entfernen. Zudem sind auf diese Weise die Durchmesser der Verbindung von Grundplatte und Alhidade mit Schmirgelpapier feiner aneinander anzupassen (Schritt 8 der Anleitung). Hier sollte man sehr behutsam vorgehen, damit der Schwenkarm später nicht zu viel Spiel hat!

Grundplatte und Alhidade sind miteineinader verbunden.

Mit Seite 1 der Bauanleitung komme ich schnell voran. Grundplatte, Sonnenfilter, Alhidade und Peilgehäuse bestehen aus jeweils nur wenigen Teilen und sind bald zusammengefügt. Trotzdem sollte man langsam anfangen, alle Teile gut durchtrocknen lassen und vor allem jeden Schritt sorgfältig lesen, bevor dieser umgesetzt wird: Einmal falsch zusammengeklebt kann der Sextant ruiniert sein!

Die anfägliche Befürchtung, dass sich der Kartonbausatz als zu labil erweist, schwindet mit zunehmendem Baufortschritt. Durch das Aufdoppeln vieler Bauteile entssteht ein recht stabiles Konstrukt. Zieht man die Trockenzeit für den Kleber ab, ist der Sextant nach knapp einer Stunde Bauzeit in seinen Grundzügen zu erkennen. Es folgen Sonnenfilter, Peilgehäuse, Horizontal- und Indexspiegel sowie der rückseitige Handgriff, dann ist das Instrument beinahe vollendet. Bevor aber das letzte relevante Bauteil, die Minutenskala, angebracht werden darf, gilt es den Sextanten zu eichen.

Bereits während des Zusammenbaus fällt der aufgedruckte Pfeil neben der Aussparung für den Horizontalspiegel auf, sein Sinn erschließt sich zunächst nicht. Nun soll auf Höhe der Pfeilspitze mit dem Stift ein Peilstrich auf den Spiegel gezeichnet werden. Die Anleitung verrät, wie die Position zu überprüfen ist. Passt der Strich nicht, muss er mit Terpentin abgewischt und neu gesetzt werden. Das kann etwas dauern. Passt der Strich formal, peilt man mit dem Sextanten ein mindestens einen Kilometer entferntes Objekt an. Dieses sollte über eine möglichst horizontal verlaufende und klar konturierte Begrenzugslinie verfügen wie ein Höhenrücken oder ein großes Gebäude oder eben die Kimm.

Beim Blick durch das Peilgehäuse habe ich in der linken Hälfte des Visiers das Objekt direkt vor dem Auge. Die rechte Hälfte folgt den beiden Spiegeln. Durch Bewegung der Alhidade ist der Indexspiegel so zu verstellen, dass beide Objekte auf Höhe des zuvor gesetzten Peilstrichs übereinstimmen. Passt alles, sollte das Fenster der Alhidade laut Anleitung mittig über der 5-Grad-Marke auf der Skala liegen, der Abstand zwischen 0-Grad-Marke und rechtem Fensterrand beträgt damit etwa 2 Gradstriche. Damit ist auch die Maximalgrenze definiert, die die Alhidade von der Idealposition abweichen darf, sonst lässt sich der gemessene Wert nicht ablesen und die Minutenskala nicht verwenden.

Der fertige Sextant mit deutlich verschobener Minutenskala

Auf allen im Web verfügbaren Bildern passt die Alhidade des Karton-Sextanten nicht perfekt zur Skala der Grundplatte, man erkennt dies an der nicht zentriert eingeklebten Minutenskala. Der übliche Fehlerbereich bewegt sich innerhalb eines Grades. Bei meinem Sextanten ergibt die Kalibrierung eine Abweichung von mehr als einem Grad. Beeinflusst ein solcher Wert die Messgenauigkeit? Klaus Hüning äußert sich dazu nicht ausdrücklich, er verweist lediglich darauf, dass bei Messungenauigkeiten der Markierstrich auf dem Spiegel neu gesetzt werden kann. Meiner sitzt aber recht zentral, dabei möchte ich es erst einmal belassen. Also gilt es als nächstes den künstlichen Horizont zusammenzubauen um die Sonnenhöhe zu bestimmen. Dann lässt sich mehr über die Genauigkeit meines Karton-Sextanten sagen.

Der künstliche Horizont ist deutlich schneller zusammengebaut als der Sextant. Er besteht aus einer Bodenplatte, auf die ein weiterer Spiegel und eine Wasserwaage aufgeklebt werden. Auf den Sextanten aufgesteckt, ergänzt die Wasserwaage das Sichtfeld und ermöglicht die horizontale Ausrichtung des Sextanten, falls am Horizont keine Kimm zur Verfügung steht.

Da alles fertig ist, kann nun endlich gemessen werden! Als erstes möchte ich die Mittagshöhe der Sonne „schießen“. Diese soll dann mit dem errechneten Wert abgeglichen werden. Dazu benötigt man zunächst einmal die eigenen Koordinaten und das Datum. Mit diesen Informationen lässt sich online die Uhrzeit des Wahren Mittag und damit der maximale Höhenwinkel der Sonne bestimmen. In meinem Fall soll die Sonne um 12:43 Uhr Ortszeit einen Höhenwinkel von 27° 45′ haben. Da der Sextant ohnehin nur auf 1/12 Grad genau messen kann, ist dieser Wert präziser als benötigt.

Alles ist vorbereitet, doch leider spielt das Wetter nicht mit. Durch die dichte Wolkendecke ist die Sonne bereits am Vormittag immer nur für wenige Sekunden sichtbar. Um 12:43 Uhr geht gar nichts und auch nachmittags wird es nicht besser. Dringt die Sonne durch die Wolkendecke, erscheint sie wie ein konturenloser weißer Fleck, der durch den Sonnenfilter nicht zu sehen ist. Ohne störende Wolken leuchtet unser Zentralgestirn als überraschend kleiner, oranger Ball durch den Filter.

Wenn es mit dem Messen heute nichts wird, möchte ich zumindest das Handling des Sextanten testen. Zunächst einmal geht es darum eine Körperhaltung zu finden, in der sich das sehr leichte Gerät ruhig halten lässt. Dann bestätigt sich meine Augenschwäche: Mit Brille ist der direkte Fernblick schärfer, ohne Brille der Nahblick über die Spiegel. Unter dem Strich erweist sich die Peilung ohne Brille als besseres Gesamtpaket.

Bei Nullstellung auf der Skala liegen wie oben beschrieben beide Bildhälften passend nebeneinander. Als ich die Alhidade genau einen Grad weiterdrehe, überrascht mich, wie weit die beiden Bildhälften nun auseinandergerückt sind. Über den Nonius stelle ich daraufhin 0,5 Grad Abstand ein, die Bildhälften sind noch immer deutlich voneinander getrennt. Je näher ich dem passenden Zehntel komme, desto genauer muss ich angesichts meiner partiell unscharfen Sicht hinschauen, aber die optische Ermittlung des Bruchteils eines Grades funktioniert.

Einige Tage später bin ich mittags zuhause und die Sonne scheint. Zumindest zeitweise, zwischen Wolken. Keine idealen Bedingungen, aber egal: Am wahren Mittag um diesmal 12:42 Uhr soll der Höhenwinkel bei 29° 58,8′ liegen, auf meine Verhältnisse übertragen bedeutet das 30° 0′. Die ersten Messungen benötige ich, um mit dem Austarieren von Wasserwage und Alhidade klarzukommen. Dann um 12:24 Uhr der erste ernsthafte „Schuss“: 29° 35′. Es sollten um die Uhrzeit sein: 29° 51′. Also etwa 16 Minuten daneben oder 16 Seemeilen auf dem Breitenkreis. Das ist viel. Ein zweiter Versuch nach der nächsten Wolke bringt mit 25 Minuten eine noch größere Abweichung. Dann zwei weitere mit 20 und 30 Minuten. Bereits die Streuung ist frustrierend. Genauer geht es nicht? Was mache ich falsch?

Da fällt mir etwas auf: Beim „Schießen“ der Sonne blicke ich auf das gegenüberliegende Haus. Dieses ist genau so gebaut wie unseres. Wenn der Sextant laut Wasserwaage horizontal ausgerichtet ist, liegt der Peilstrich im Spiegel auf Höhe des oberen Fensterabschlusses, mein Kopf befindet sich aber einiges unterhalb des Fensterrahmens. Ich nehme den Horizontalspiegel ab und peile das gegenüberliegende Fenster auf Höhe meines Kopfes an. Die Messung um 12:46 Uhr ergibt ziemlich genau 30 Grad, das wäre ideal. Zwei Folgemessungen sorgen für etwas Ernüchterung, aber mit jeweils etwa 10 Grad Abweichung bin ich ganz zufrieden. Eine abschließende dritte Peilung mit 15 Grad Abweichung zum errechneten Wert verwerfe ich, da schob sich schon wieder eine Wolke vor die Sonne… Ab 13:20 ist die Sonne länger zu sehen, es folgen erneute Messungen, die Abwichungen pendeln sich bei einer Streuung von 10 Grad ein.

Fazit: Zunächst einmal muss ich die Wasserwaage neu ausrichten. Dann hoffe ich, dass sich bei weiteren Messungen die maximal 10 Grad noch weiter verringern lassen oder zumindest nicht größer werden. 10 Grad bedeuten 10 Seemeilen oder 18,5 km. Das hört sich in Zeiten von GPS nach sehr viel an. Doch auf dem Meer, fernab der Küste und ohne anderes Hilfsmittel zur Hand kann der Karton-Sextant damit den Segler auf etwa 1,5 Fahrtstunden genau verorten. Tatsächlich ein großer Fortschritt gegenüber der reinen Koppelnavigation.

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